Auf Polizei und Justiz ist kein Verlass

Der Prozess wegen des vierfachen Mordes an Einwanderern 2024 in Solingen offenbart das ganze Ausmaß des institutionellen Rassismus bei den Ermittlungsbehörden

Im Prozess am Landgericht Wuppertal um den Brandanschlag in der Grünewalderstrasse in Solingen, bei dem im März 2024 vier Einwanderer aus Bulgarien ermordet wurden, darunter zwei kleine Kinder, und andere Bewohner*innen schwer verletzt wurden, kommt nach und nach das ganze Ausmaß des institutionellen Rassismus einer Polizeibehörde ans Licht, die eigentlich für Sicherheit von allen Menschen in der Region verantwortlich ist, auch von Menschen, die von rassistischer Gewalt bedroht sind. Dieser Aufgabe kommt sie aber offenbar nicht nach.

Die Wuppertaler Staatsanwaltschaft agiert vor Gericht mit einer Dreistigkeit, die kaum zu überbieten und für die Betroffenen, ihre Anwältinnen und Prozessbeobachterinnen unerträglich ist. So lehnen die Ankläger alle Beweisanträge der Nebenklage, die der Aufklärung des vierfachen Mordes und des Tatmotivs dienen, pauschal als „irrelevant“ oder „unbegründet“ ab und stellen die Schlussfolgerungen der Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız aus ihren Recherchen als unzulässige Meinungsmache dar, als ob die Morddrohungen des NSU 2.0 gegen die Frankfurterin ihren juristischen Sachverstand und ihre Urteilskraft getrübt hätten.

Dabei macht die Rechtsanwältin eigenen Angaben zufolge nur ihre Arbeit. Beim Aktenstudium war sie auf Hinweise gestoßen, wonach der Angeklagte auch für den Brand im Januar 2022 in einem Mehrfamilienhaus in Wuppertal in Betracht kommt. Die Kriminalpolizei hatte die Ermittlungen damals nach drei Wochen mit Verweis auf einen möglichen technischen Defekt eingestellt. Ein von ihr im laufenden Prozess eingefordertes Brandgutachten kam nun zu einem anderen Ergebnis. Die Spuren sprächen eindeutig für Brandstiftung, denn das Feuer sei an zwei voneinander räumlich getrennten Stellen gleichzeitig ausgebrochen. Das Feuer war am Kellerverschlag eines Nachbarn, mit dem der Angeklagte mehrfach in Streit geraten war und an einer weiteren Stelle gelegt worden, kurz nachdem die Freundin des Angeklagten aus dem Haus ausgezogen war, wo er sich regelmäßig aufgehalten hatte. Aktuelle Funkzellenauswertungen und Analysen der Internetrecherchen des Beschuldigten durch die Kripo stützen nun diesen Verdacht.

„Für die Angehörigen der Verstorbenen und den teils Schwerverletzten des Brandanschlages aus Solingen drängt sich jetzt die bittere Erkenntnis auf, dass der Anschlag auf ihr Haus in Solingen hätte verhindert werden können, wenn der frühere Brand in Wuppertal von den Ermittlungsbehörden pflichtgemäß aufgeklärt worden wäre“, schreiben die Vertreter*innen der Nebenklage in einer geneinsamen Presseerklärung. Von einer sorgfältigen Aufklärung des Brandes in Wuppertal vom Januar 2022 könne keine Rede sein. Die Ermittlungen wurden bereits kurze Zeit später eingestellt, ohne dass die Polizei vor Ort oder später die Bewohner des Hauses als Zeugen vernommen hatte, ohne dass die zuständige Kriminalpolizei überhaupt vor Ort war und ohne dass ein Brandsachverständiger beauftragt wurde.

„Für mich steht zweifelsfrei fest, dass der Angeklagte aus rassistischen Motiven gehandelt hat“, erklärte Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız. Es sei schockierend, dass überhaupt keine Ermittlungen zur Brandursache durchgeführt und das Ermittlungsverfahren nach wenigen Wochen eingestellt wurde. Für den Angeklagten hat dies vermutlich keine juristischen Konsequenzen, schließlich wiegt der vierfache Mord bei der Urteilsfindung schwerer. Auch die beim letzten Prozesstag durch den Vorsitzenden Richter Jochen Kötter bekannt gewordenen neuen Vorwürfe, wonach der Angeklagte die Reifen einer Ex-Freundin zerstochen und ihren Wagen angezündet haben könnte, werden vermutlich nicht mehr aufgeklärt.

Schwerer wiegt allerdings das systematische Wegsehen, Leugnen, Vertuschen bei Fällen rassistischer Gewalt durch die Ermittlungsbehörden und die Untätigkeit der zuständigen Dienstaufsicht, der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf und des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen, Benjamin Limbach, Bündnis 90/Die Grünen sowie die mangelnde Kontrolle der Exekutive durch den Landtag NRW. Wuppertaler Initiativen fordern deshalb personalle Konsequenzen bei Polizei und Staatsanwaltschaft.

Drei Familienangehörige überlebten den Anschlag schwer verletzt. Sie leiden bis heute unter dem Schmerz, den gesundheitlichen Folgen des Verbrechens und kämpfen um ihre Existenz. Sie fordern Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen, auch als Nebenkläger*innen vor Gericht. Zur Unterstützung der Überlebenden hat die Opferberatung Rheinland eine Spendenkampagne gestartet. Die Mittel sollen unter anderem für medizinische und therapeutische Versorgung, sichere Unterbringung, rechtliche Unterstützung sowie für begleitende Maßnahmen zur Stabilisierung der Betroffenen verwendet werden. www.goodcrowd.org/solingen-2024

Gemeinsam mit NSU-Watch NRW und Initiativen aus Wuppertal beobachten wir regelmäßig den Prozess am Wuppertaler Landgericht und rufen zur solidarischen Prozessbegleitung der Überlebenden des rassistischen Anschlags in Solingen 2024 auf. Prozessberichte und Analysen unter https://adaletsolingen.org/. Prozesstermine auch auf dieser Website.

Bei dem Brandanschlag im März 2014 in Solingen kamen vier Menschen einer bulgarischen Familie ums Leben: Kancho Emilov Zhilov (29 Jahre), Katya Todorovo Zhilova (28 Jahre), Galia Kancheva Zhilova (3 Jahre) und Emily Kancheva Zhilova (5 Monate).

(mr)



Verfasst am Mittwoch, 25. Juni 2025