Große Empörung über Angriffe der Hanauer Rathauskoalition gegen Emiş Gürbüz

222 Kulturschaffende, Journalist*innen und Autor*innen fordern in einem Offenen Brief an die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD und FDP in Hanau eine öffentliche Korrektur der Aussagen sowie eine Entschuldigung bei Emiş Gürbüz und der Initiative „19. Februar“

Sehr geehrte Frau Schwarzenberger,

Sehr geehrter Herr Redding,

Sehr geehrter Herr Statz,

seit fünf Jahren steht der Name Ihrer Stadt für einen der größten rechtsradikalen Terrorakte in der Geschichte der Bundesrepublik. Als am 19. Februar 2020 neun junge Menschen von einem Hanauer erschossen wurden, war dieser bereits durch seine rassistischen und verschwörungstheoretischen Aussagen und Aktivitäten aufgefallen. Weil er nicht aufgehalten wurde, konnte er neun Nachbarinnen und Nachbarn aus dem Leben und damit auch aus der Mitte Ihrer Stadtgemeinschaft reißen. Seitdem schikaniert und bedroht sein in Hanau ansässiger Vater die Hinterbliebenen der Opfer. Diese Familien, die sich sofort nach der Gewalttat zu einer Initiative zusammengeschlossen haben, sind seit fünf Jahren die treibende Kraft bei der Aufklärung der Tatumstände sowie der behördlichen und politischen Fehler und Versäumnisse vor, während und nach der Tat. Die “Initiative 19. Februar Hanau” ist der Grund dafür, dass wir, die wir nicht in Hanau leben, nach dieser Gewalttat auch wieder Hoffnung schöpfen konnten.

Anlässlich des fünfjährigen Gedenkens hat Emiş Gürbüz, Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz, eine Rede gehalten, die Sie nun in einer Presseerklärung scharf kritisieren. Die von Ihnen gewählten Worte sind beschämend, die Haltung, die sich in ihnen ausdrückt, erschütternd und inakzeptabel. Die Familien der Opfer sind keine Statistinnen und Statisten, die Ihnen Versöhnlichkeit oder gar eine handzahme PR für Ihre Stadt schulden. Indem Sie berechtigte Wut und Trauer als Hass diffamieren, demonstrieren Sie einen Mangel an Anteilnahme und auch an Anerkennung des unermüdlichen Einsatzes der Hinterbliebenen.

Ihre deutlich formulierten Drohungen bezüglich des Fortgangs der Gedenkveranstaltung sind empörend.

Mehr als empörend ist allerdings, dass Sie als Rathaus-Koalition das private Einbürgerungsverfahren von Frau Gürbüz thematisiert haben. Damit haben Sie die Persönlichkeitsrechte einer Privatperson verletzt und zugleich eine Betroffene von Rassismus exponiert. Das ist Ihrer politischen Funktion unangemessen. Und es ist gefährlich in einer Gesellschaft, in der Ressentiments und Gewalt gegen migrantische Menschen stetig steigen. Nicht zuletzt die neun Namen der in Ihrer Stadt Ermordeten stehen für diese Realität: Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi, Hamza Kurtović, Ferhat Unvar.

Mitnichten hat Frau Gürbüz in ihrer Rede die Terrortat und damit also die Ermordung ihres eigenen Sohnes instrumentalisiert oder gar “politische Agitation” betrieben. Sie hat vielmehr erklärt, dass sie von politischen Verantwortungsträgern keine Entschuldigungen akzeptieren kann, solange keine ernstzunehmenden politischen Konsequenzen aus dieser Gewalttat gezogen werden.

Der Name der Stadt, die Sie vertreten, reiht sich ein in eine Topographie der rechtsradikalen Gewalt, die seit Jahrzehnten keine wirksame Antwort aus der Politik erhält. Statt sich als Mandatsträgerin und Mandatsträger gegen eine trauernde Mutter zu wenden und sie durch Ihre fehlgeleitete Pressemitteilung zu beschädigen, hätten Sie sich für einen souveränen Umgang mit ihrer Kritik entscheiden können. Dieser würde einschließen, den Familien der neun in Hanau ermordeten Menschen solidarisch beizustehen und sich glaubhaft gegen Rassismus und rechtsradikalen Terror einzusetzen.

Wir fordern Sie auf, Ihre Worte dementsprechend öffentlich zu korrigieren und sich bei Emiş Gürbüz und der Initiative “19. Februar Hanau”, die in ihrem Statement ausgedrückt hat, wie enttäuscht sie von Ihrer Reaktion ist, zu entschuldigen.

Es folgen 222 Unterschriften, darunter die Autorinnen Fatma Aydemir, Shida Bazyar, Dana Vowinckel und Asal Dardan, der Autor Max Czollek und nicht zuletzt Ibrahim Arslan, Überlebender des rassistischen Brandanschlags in Mölln 1992



Verfasst am Dienstag, 25. Februar 2025