Mahnmal Keupstraße

Rendering „Platz für Alle“. Das Mahnmal an der Keupstraße, Ulf Aminde 2023

Der lange Weg ein würdiges Gedenken gegen Rassismus zu erkämpfen

Nach der Selbstenttarnung des NSU Ende 2011 wurde in Köln erstmals die Forderung nach einem Gedenkort in direkter Nachbarschaft zur Keupstraße laut. Im Dezember 2015 beschloss der Rat der Stadt, „in der Keupstraße beziehungsweise in ihrer unmittelbaren Nähe ein Denkmal zu errichten" und lobte ein künstlerisches Wettbewerbsverfahren zur Findung eines geeigneten Entwurfs aus. Schließlich einigte sich die Jury, darunter auch Bewohnerinnen der Keupstraße, Betroffene der Bombenanschläge und Stadtteilinitiativen, einvernehmlich auf den Entwurf des Berliner Künstlers Ulf Aminde für einen interaktiven Gedenkort, der an eben jener Ecke Keupstraße/Schanzenstraße entstehen soll. Doch was so hoffungsvoll begann, geriet alsbald ins Stocken. Die Eigentümerinnen des Geländes wollten davon nichts wissen und auf dem Gelände ein Geschäftszentrum errichten, ein lukratives Investment in einem besonders von Gentrifizierung bedrohten Stadtteil. Mit dem lapidaren Verweis, dass der gewünschte Standort Privateigentum sei und die Kommune somit keine Handlungsmöglichkeiten habe, stahlen sich die Kölner Politiker*innen und die Verwaltung lange aus der Verantwortung für die Umsetzung des Ratsbeschlusses von 2015. Es dauerte weitere sechs Jahre, bis der Rat der Stadt Köln am 9. November 2021 die Errichtung des Mahnmals in Sichtweite des Friseursalons, wo 2004 die Bombe explodierte, beschloss und das NS-Dokumentationszentrum damit beauftragte, gemeinsam mit Betroffenen, Initiativen und dem beauftragten Künstler ein Konzept dafür zu entwickeln.

9. Juni 2019. Jahrestag des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße. Foto: Dörthe Boxberg

Rückschau

Der Weg dorthin war lang. Bereits nach dem Tribunal „NSU-Komplex auflösen" 2017 in Köln hatte die Kölner Tribunalgruppe das Mahnmal zum Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht. Gemeinsam mit der Interessengemeinschaft Keupstraße und der Initiative „Keupstraße ist überall" lud sie den Sprecher der Investorengruppe im März 2018 zu einer Podiumsdiskussion mit dem Pädagogen und Publizisten Micha Brumlik und dem Künstler Ulf Aminde ins VHS-Forum im Rautenstrauch-Joest-Museum. Weil die Eigentümerinnen absagten, blieben die Befürworterinnen des Mahnmals unter sich und so fiel der öffentliche Streit aus. Im Jahr darauf initiierte Aminde gemeinsam mit anderen Künstler*innen und Kulturschaffenden aus dem In- und Ausland einen Offenen Brief an Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Doch auch dieser Appel blieb ungehört.

Im Sommer 2019 sorgte Aminde gemeinsam mit der neu gegründeten Initiative „Herkesin Meydanı - Platz für alle" für öffentliches Aufsehen, als der Künstler eine unscheinbare hell beschichtete Holzplatte im Foyer des Museums Ludwig ausstellte. Bei der Präsentation des Modells des Mahnmals im Maßstab 1:10 kam es zu einem erbitterten Wortgefecht zwischen Vertreterinnen der Initiative, dem Künstler und einem Reporter des Kölner Stadtanzeigers. Am Tag darauf war die Kontroverse ausführlich in der Zeitung nachzulesen. Auch andere Medien berichteten über das Ereignis. Das Mahnmal sei kein Geschenk für die Bewohnerinnen der Straße, sondern für unsere Stadt, die ganze Gesellschaft, zitierte der Stadtanzeiger Mitat Özdemir von der Initiative „Herkesin Meydanı". Er forderte die Stadtspitze auf, die Angelegenheit endlich zur Chefinnensache zu machen.

In den folgenden Monaten wiesen Politische Vertreter*innen aller Ebenen die Verantwortung für die Realisierung des Mahnmals seitens der Stadt ab – mit der Behauptung, alleine das Beharren der Betroffenen auf dem ursprünglich beschlossenen Standort würde eine zügige Klärung verhindern. Diese Umkehr wurde seitens der Medien unkritisch übernommen und lieferte ein erneutes Beispiel für das Wirken von strukturellem Rassismus, mit dem Forderungen von Betroffenen im Gedenkdiskurs immer wieder abgeblockt und verunglimpf werden.



Kurz darauf lancierte die Initiative einen weiteren Offenen Brief an die Oberbürgermeisterin, den viele Initiativen und Einzelpersonen unterzeichneten:

„Statt das Mahnmal mit Nachdruck und Engagement an dem ursprünglich vorgesehenen und von den Betroffenen geforderten Platz zu realisieren, gibt es einen Kniefall vor den Investoren"

hieß es darin. Die Stadtverwaltung habe Spielräume, den Gedenkort an der Keupstraße zu realisieren und sie möge diese endlich nutzen. Die Unterzeichnerinnen unterstützten die Forderung der Initiative nach einem Bebauungsplan, der den „Platz für alle" an der Keupstraße/Ecke Schanzenstraße als Standort für das Mahnmal festschreiben sollte. Im Falle eines Verkaufs möge die Stadt ihr Vorkaufsrecht geltend machen und die für den Gedenkort notwendige Fläche erwerben. Diese Vorschläge ließen die Stadtspitze schlecht aussehen, weil sie privaten Interessen gegenüber dem öffentlichen Interesse nach einem Statement der Stadtgesellschaft gegen Rassismus offensichtlich Vorrang einräumte. Die Oberbürgermeisterin Henriette Reker geriet unter Druck. Am Jahrestag des Nagelbombenanschlags 2020 berichtete Meral Şahin, die Vorsitzende der IG Keupstraße, vor über 600 Zuhörerinnen auf der Gedenkveranstaltung überraschend, dass Reker ihr versichert habe, dass die Stadt das Grundstück gegenüber der Keupstraße erwerben wolle, um das Mahnmal zu bauen.

Jetzt war der Zeitpunkt günstig, um den Druck auf die Stadt zu erhöhen. Die Empörung über den Anschlag von Hanau und die Massendemonstrationen von Black Lives Matter ließen hoffen, dass sich nun auch mehr Menschen in Köln für das Mahnmal einsetzen würden, um den Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen. Deshalb organisierte "Herkesin Meydanı" gemeinsam mit anderen Gruppen vom Sommer bis zum Herbst 2020 regelmäßige "Live Acts gegen Rassismus“ an der Keupstraße, um den Ort schon jetzt zu einem Platz für alle zu machen. Namhafte Künstler*innen wie Esther Dischereit, Doğan Akhanlı, Henning May, Tice, Esther Bejarano und Microphone Mafia sowie Fatih Çevikkollu traten dort auf. So blieb das Thema vor der Kommunalwahl 2020 im Gespräch.

Aus der Verwaltung erfuhr die Initiative wenig später, dass die Eigentümerinnen des Grundstücks in Verkaufsverhandlungen mit der Düsseldorfer Gentes Gruppe stünden. Für diese Neuigkeit interessierte sich nun auch der Kölner Express, der schon über den Konflikt berichtet hatte. Ein Anruf eines Reporters veranlasste das OB-Büro, aktiv zu werden. Schließlich stand die Behauptung im Raum, Henriette Reker, die kurz vor der Stichwahl zur Oberbürgermeisterin stand, habe ihr Versprechen gegenüber der IG Keupstraße gebrochen, das Gelände zu kaufen. Sie beraumte eilig eine Besprechung mit Vertreterinnen von Initiativen an, bei dem sie die Verwirklichung des Mahnmals am gewünschten Ort zusagte. Der Presse war Anfang Dezember 2020 zu entnehmen, dass die neue Eigentümerin des Geländes, die „Gentes Gruppe", eine Bauvoranfrage für einen konkreten Entwurf für das Mahnmal zur Abstimmung in die Bezirksvertretung Mülheim vorlegen würde. Das Mahnmal soll demnach am vorgesehenen Platz gegenüber dem Eingang zur Keupstraße entstehen, auf 576 Quadratmetern.

Im November 2021 fasste der Rat der Stadt Köln schließlich einen entsprechenden Beschluss, der auf Druck der Inititiative den Übergang des Platzes in städtisches Eigentum, die maßgebliche Beteiligung der Betroffenen an der inhaltlichen Kuration und eine weitere Gedenktafel in der Probsteigasse festschrieb.

Der gewünschte Standort des Antirassistisches Mahnmals an der Keupstraße - in Sichtweite des angegriffenen Straßenabschnittes - wurde im Deal mit dem Investor durchgesetzt. Die Stadt hat sich jedoch durch diesen weiterhin um die Ausübung ihrer planerischen Möglichkeiten gedrückt und damit die Chance für einen besonderen, qualitativen Gedenkort, der dem Stadtteil und seiner Geschichte gerecht wird vertan. Ebenso hat Sie den Einfluss auf den Zeitpunkt des Baus von Platz und Mahnmal damit abgegeben, da der Platz bis zur Fertigstellung des Investorenbaus der Firma als Bauplatz dient. So ist im März 2024 – knapp 20 Jahre nach dem Anschlag in der Keupstraße – der Zeitpunkt der baulichen Realisierung weiterhin unklar.

Rendering „Platz für Alle“. Das Mahnmal an der Keupstraße, Ulf Aminde 2023
Rendering „Platz für Alle“. Das Mahnmal an der Keupstraße, Ulf Aminde 2023

Ausblick

Das Antirassistische Mahnmal an der Keupstraße soll ein Lern- und Gedenkort werden und an den Nagelbombenanschlag in der Keupstraße am 09.06.2004 und den Bombenanschlag in der Probsteigasse am 19.01.2001 erinnern und die Kämpfe gegen Rassismus Antisemitismus sichtbar machen. Das Mahnmal besteht aus einer 6x24m großen Betonbodenplatte, die eine 1:1 Kopie des Fundamentes des Hauses ist, vor dem die Nagelbombe in der Keupstraße explodierte. An der Betonbodenplatte lässt eine App ein digitales, antirassistisches Medienarchiv abrufen. Am Eingang der Keupstraße soll so ein öffentlicher Platz entstehen. Eine virtual Reality App lässt entlang des Fundamentes der Betonplatte virtuelle Wände auf dem Smartphone erscheinen. In der Vorstellung der Benutzer_innen entsteht ein virtuelles Haus, das nicht mehr angegriffen werden kann. Auf den virtuellen Wänden des Hauses werden Filme, Texte und Bilder eines digitalen Archivs sichtbar, das unter anderem die migrantische Geschichte der Keupstraße, Interviews mit den Betroffenen und die antirassistischen Kämpfe in Deutschland zeigt. Die Inhalte und ihre Produktion stellen die Perspektive der Betroffenen ins Zentrum. Es soll ein digitales antirassistisches Film- und Medienarchiv entstehen. Das Archiv wächst in der Zukunft stetig.

Ein Kuratorium für das Mahnmal wird eine Auswahl weiterer antirassistischer Dokumente auswählen. Das Gremium soll mehrheitlich aus Betroffenen und solidarischen Personen bestehen, die jährlich eine Auswahl der Medien zusammenstellen, die jeweils neu in die App mit aufgenommen werden.

Der jahrelangen Stigmatisierung der Keupstraße und dem fortgesetzten Rassismus muss etwas entgegengesetzt werden. Der NSU hat gezielt Alltagsorte der Menschen angegriffen, die als die Anderen wahrgenommen und stigmatisiert werden. Trotz aller Kämpfe und Auseinandersetzungen setzen sich rassistische Angriffe auf die Orte, an denen Menschen arbeiten oder sich einfach treffen fort, zuletzt in Halle und Hanau.

Das Antirassistisches Mahnmals an der Keupstraße möchte dem durch Sichtbarkeit der vielseitigen Geschichte etwas entgegensetzen. Das Vorhaben macht Mut oder wie Mitat Özdemir aus der Keupstraße sagt:

"Das Mahnmal wird unser Symbol sein. Ich habe einen Traum, über den ich hier immer gesprochen habe. Dieses Denkmal muss kommen und es wird Menschen geben, die eines Tages Busse mieten, um es hier besuchen zu können."
Mitat Özdemir

„Meine beiden Kinder sind in Deutschland geboren", sagt der Friseur Özcan Yildirim von der Keupstraße, vor dessen Salon die Bombe 2004 explodierte. „Sie werden hier ihr Leben leben. Ich hoffe, dass ihnen so etwas nie passieren wird und wenn dies der Fall ist, sollte niemand mit Vorurteilen konfrontiert werden! Ich möchte nicht als Mafiosi oder Terrorist angesehen werden. Was das Denkmal betrifft, denke ich, dass es eine gute Sache ist. Vergesst nicht! Es soll immer im Gedächtnis bleiben, es soll ein Fragezeichen sein! Die nächste Generation muss ihre Rechte einfordern! Wir hatten niemanden, der uns am Arm hielt und unterstützte!"