Die Behörden schließen Rassismus als Motiv aus, dabei sind Zweifel angebracht, auch wenn der mutmaßliche Täter, ein 39-jähriger Solinger, inzwischen gefasst ist, werden Erinnerungen an die Baseballschlägerjahre wach.
Die vierköpfige Familie - Katya, Kuncho, Galia und Emili - hatten im Dachgeschoss des Altbaus gelebt und sich nicht mehr retten können, andere Hausbewohner*innen erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen, ein Bewohner schwebt immer noch in Lebensgefahr. Bei der Untersuchung des Brandortes waren Brandbeschleuniger gefunden worden. Die Polizei war dem mutmaßlichen Täter auf die Spur gekommen, weil er in der Tatnacht von mehreren Überwachungskameras in der Nähe des Tatorts aufgezeichnet worden war. Die Vermieterin des Hauses lieferte den Hinweis auf einen Streit mit einem ehemaligen Mieter, dessen Aussehen zu den Aufzeichnungen der Überwachungskameras passte.
Doch warum setzt jemand ein Wohnhaus in Brand, in dem zahlreiche Menschen leben, wenn er Streit mit der Vermieterin hat? Warum schließen die Behörden ein rassistisches Motiv aus und sprechen von einer Tat „im zwischenmenschlichen Bereich“, obwohl die Bewoher*nnen allesamt Einwanderer sind und an einem vorsätzlich gelegten Brand aufgrund der Spurenlage kein Zweifel besteht? Hinter dem reflexhaften Ausschluss eines rassistischen Motivs steckt entweder Unwissen oder Absicht. Zumindest macht es die Gefahr, unter der rassifizierte Menschen tagtäglich in Deutschland leben müssen, unsichtbar, denn Rassismus ist kein Einzelphänomen, sondern eine Struktur, die sich durch alle Bereiche der Gesellschaft zieht, auch durch Sicherheitsbehörden. Die Öffentlichkeit, allen voran die Medien, sollten deshalb Aussagen von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht einfach unhinterfragt übernehmen, schließlich sind die Ermittlungen, trotz der Festnahme eines Tatverdächtigen, noch nicht abgeschlossen.
Nach dem Brandanschlag sind zahlreiche Menschen zu einem Trauermarsch gekommen, vor allem aus der türkisch-bulgarischen Community. Sie fordern lautstark Gerechtigkeit. Auch Mitglieder der Familie Genc, die am 29. Mai 1993 bei einem rassistischen Anschlag fünf Angehörige verloren und seitdem unermüdlich für politische Konsequenzen und ein würdiges Gedenken kämpfen, haben am Trauermarsch teilgenommen. Auch der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose und die Rechtsanwältin Seda Başay-Yildiz, die Nebenklagevertreterin der Familie von Enver Şimşek im NSU-Prozess, die vom so genannten NSU 2.0 mit dem Tod bedroht wird, haben am Trauermarsch teilgenommen.
Der aktuelle Brandanschlag in Solingen weckt unwillkürlich Erinnerungen an die Baseballschlägerjahre. Unsere Sorge gilt jetzt den Überlebenden, die um ihre schwerverletzten Angehörigen bangen und unter sehr prekären Bedingungen auf engstem Raum in städtischen Notunterkünften leben. Sie verdienen schnelle unbürokratische Unterstützung und unsere Solidarität.