Justice for Ibrahima

Anklage gegen 9 Polizist*innen erhoben, die an dem tödlichen Einsatz beteiligt waren

06. Januar 2024 ist Ibrahima Barry im Zuge eines Polizeieinsatzes in Mülheim an der Ruhr gestorben, im Alter von Mitte 20 Jahren. An diesem Tag hat sich Ibrahima Barry in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Der Sicherheitsdienst der Geflüchtetenunterkunft, in der Ibrahima Barry gelebt hat, hat die Polizei gerufen. Anstatt zu deeskalieren, hat die Polizei die Situation verschlimmert. Ibrahima wurde von der Polizei zweimal getasert und so gewaltvoll körperlich und psychisch angegriffen, dass er an einem Herzstillstand gestorben ist.

Ibrahima Barry ist in Guinea geboren, wo auch seine Familie wohnt. Als Jugendlicher ist Ibrahima auf der Suche nach einem sicheren Leben nach Deutschland gekommen. Er hat lange, wie viele andere geflüchtete Menschen in diesem Land, versucht, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, die ihm immer wieder verweigert wurde. Seine bereits ökonomisch und psychisch prekarisierte Situation durch einen unsicheren Aufenthaltsstatus und die Fluchterfahrung wurde dadurch noch prekärer gemacht. Er wurde psychisch krank gemacht und letztendlich am 06. Januar 2024 so gewaltvoll von den Polizistinnen angegriffen, dass er gestorben ist. Seine Familie und Freundinnen vermissen Ibrahima sehr und können nicht verstehen, warum er an dem Tag gestorben ist. Sie wünschen sich seit dem ersten Tag Aufklärung und Gerechtigkeit.

Mehr als ein Jahr hat es gedauert bis die Staatsanwaltschaft Duisburg eine Anklageschrift verfasst hat. Alle 9 Polizistinnen, die am Polizeieinsatz beteiligt waren, werden wegen gefährlicher Körperverletzung ohne Todesfolge angezeigt. Ohne Todesfolge!? Warum ist Ibrahima Barry am 06.01.24 im Zuge eines Polizeieinsatzes gestorben? Warum wurde er 2 Mal mit 50,000 Volt getasert?Wie lange lag er am Boden fixiert? Wir wissen ganz genau, dass Ibrahima noch am leben wäre, wenn die Polizei nicht gekommen wäre! Wir wissen, dass die Rückenfixierung ein Handeln der Polizei ist, von dem wir spätestens seit George Floyd wissen, dass es tödlich enden kann. Die Staatsanwaltschaft sagt, dass den Polizistinnen die Lebengefährlichkeit der Fixierung sogar bewusst war. Außerdem wissen wir auch, dass Taser tödlich sind. Wir fragen uns, warum es in der Anklage anscheinend keine Rolle spielt, dass Taser zu Tod durch Herzstillstand führen? Wir sind wütend. Die Staatsanwaltschaft sagt, dass Ibrahima auch gestorben wäre, wenn er anders gefesselt worden wäre. Durch das Handeln der Polizei ist Ibrahima an einem, wie es in der Anklageschrift heißt, “Kombinationsgeschehen aus einem lagebedingten Erstickungstod und einem frischen Herzinfarkt” gestorben. Es wird auch über Kokainkonsum gesprochen. Herzvorbelastung und Drogenkonsum sind beides Faktoren, die bei der Fixierung und dem Einsatz von Tasern das Risiko eines Todes erhöhen. Man kann nicht so tun, als ob Tasereinsatz und Fixierung einerseits und Herzinfarkt andererseits nicht miteinander zusammen hängen würden! Und warum es so lange gedauert hat, bis die Anklage in die Öffentlichkeit kam? Die Anklageschrift war schon am 20.03.2025 verfasst, wurde aber erst am 16.7.2025 durch einen Artikel in der WAZ öffentlich gemacht. Wurde diese Anklage der Familie Barry bereits mitgeteilt? Wir können es nicht akzeptieren, dass so getan wird, als ob der Polizeieinsatz nicht direkt verantwortlich für den Tod von Ibrahima war!

Heute, wie vor 18 Monaten, wollen wir eine lückenlose Aufklärung des Todes von Ibrahima. Heute, wie vor 18 Monaten, erwartet die Familie Barry, dass geklärt wird, wie es dazu kam, dass ihr Sohn, der Unterstützung gebraucht hätte und unbewaffnet war, von 9 Polizist*innen angegriffen wurde. Warum ist Ibrahima gestorben? Es kann nicht sein, dass einem Mensch in einer psychischen Ausnahmesituation und mit Vorerkrankungen von der Polizei Gewalt in dieser Form und in diesem Ausmaß zugefügt wird. Stattdessen braucht es Fürsorge, Erinnerung und Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit für Ibrahima! No Justice, no peace!

Wenn es nun einen Gerichtsprozess gibt, wird der Solidaritätskreis Justice for Ibrahima diesen solidarisch und kritisch begleiten. Er fordert, dass allen Familienangehörigen, die beim Prozess dabei sein wollen, unbürokratisch Visa zur Einreise ausgestellt werden. Zudem ist es für die Angehörigen und Freund*innen essenziell, dass für die Verfolgung des Prozesses eine qualitativ hochwertige und dauerhafte Übersetzung zur Verfügung steht.

Wir sehen Ibrahimas Fall in direkter Verbindung mit den vielen anderen Fällen, in denen Polizeieinsätze mit dem Tod von Menschen enden. Diese Fälle sind kein Zufall, sondern das Resultat sowohl des Prekärmachens des Lebens von Menschen als auch der unterlassenen Hilfeleistung gegenüber diesen Menschen in prekären Situationen, wie es bei z.B. Geflüchteten, arm gemachten Menschen und psychisch erkrankten Menschen der Fall ist. Aber wir sehen Ibrahimas Fall auch in direkter Verbindung mit dem systematischen Rassismus der Polizei, der Schwarze Menschen und Menschen of Color als gewaltbereit oder gefährlich darstellt, der sie öfter als andere Menschen kontrolliert, schikaniert, tasert, fixiert, einsperrt und tötet. Es ist diese rassistische Wahrnehmung von Schwarzen Menschen, die Mouhamed Lamine Dramé, Ibrahima und vor Kurzem auch Lorenz A. getötet hat. Wir weigern uns, dies als Normalität zu akzeptieren.

Auch wenn die Gerichtsprozesse zu den Tötungen von Oury Jalloh, Christy Schwundeck sowie jüngst Mouhamed Lamine Dramé und so vielen anderen durch die Polizei zeigen, dass wir keine Gerechtigkeit vom Staat erwarten können, hat die Familie Barry das Recht darauf, dass aufgeklärt wird, was ihrem Sohn passiert ist. Auch jetzt ist schon klar, dass eine Verurteilung der unmittelbar am Einsatz beteiligten Polizist*innen nicht ausreicht, um Gerechtigkeit für Ibrahima herzustellen. Es muss auch ganz grundsätzlich um die Umstände und Bedingungen gehen, die dafür sorgen, dass es immer wieder zu diesen tödlichen Situationen kommt. 

Der Solidaritätskreis Justice for Ibrahima erinnert zudem daran, dass es im Kontext des Polizeipräsidiums Essen/Mülheim jahrelang private Chatgruppen gegeben hat, in denen rassistische und extremistische Inhalte geteilt wurden. Er fordert transparente Aufklärung darüber, ob daran Beamt*innen beteiligt waren, gegen die jetzt im Zusammenhang mit dem Tod von Ibrahima Barry ermittelt wird. Wie die WAZ damals berichtete, wurden die Vorgänge im Februar 2021 vom NRW-Innenministerium wie folgt eingeordnet: “Das Handeln der Treiber und Unterstützer ging deutlich über das Posten rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Inhalte hinaus. Es erfasste alle Aspekte des Syndroms Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamphobie, Sexismus, Homophobie, etc.”

Wir fordern: 

Anstatt Polizei und Militär immer mehr Geld zu geben, Geld für soziale Projekte!

Stoppt Racial Profiling!

Stoppt den Einsatz von Tasern!

Stoppt die Praxis der Kniefixierung!

Die Polizist*innen, die an Ibrahimas Tod beteiligt waren, müssen entlassen werden!

Eine offizielle Entschuldigung und Beileidsbekundung für die Familie Barry von der Polizei und der Stadt Mülheim an der Ruhr!

Nicht nur entschuldigende Worte, sondern Umverteilung von Geldern für Projekte für Schwarze Jugendliche in Mülheim an der Ruhr!

Eine unabhängige Instanz, die gegen Polizeigewalt ermittelt! 

Psychologische Krisendienste, die anstatt der Polizei gerufen werden!

Psychologische Unterstützung und Arbeitserlaubnis für Geflüchtete!

Ende des strukturellen Rassismus der Polizei!

Es wird keine Gerechtigkeit für Ibrahima und alle anderen Betroffene von Polizeigewalt geben, bis die Bedingungen abgeschafft werden, die deren Tod möglich gemacht haben. Gerechtigkeit für Ibrahima bedeutet, dass wir an sein Leben denken. Gerechtigkeit für Ibrahima bedeutet, nicht die entmenschlichenden Geschichten, die die Polizei und Medien über ihn erzählen, einfach so stehen zu lassen. Gerechtigkeit für Ibrahima bedeutet, gemeinsam gegen Rassismus zu kämpfen. Gerechtigkeit für Ibrahima bedeutet zu verhindern, dass die Polizei weitere Menschen tötet.

solikreis4ibrahima



Verfasst am Freitag, 18. Juli 2025