Verhindern wir die Auslieferung von Zaid!

Rede von Herkesin Meydanı auf der Kundgebung vor der JVA Köln Ossendorf am 10. April 2025

Zaid A. befindet sich seit Ende Januar in Auslieferungshaft in der JVA Ossendorf in Köln. Er hatte sich mit sieben weiteren junge Menschen den Strafverfolgungsbehörden gestellt. Ihnen wird vorgeworfen, im Februar 2023 in Budapest am sogenannten „Tag der Ehre”– einem großen europäischen Neonazi-Treffen – Teilnehmer*innen verletzt zu haben. Gegen sieben der acht oben genannten Personen liegen Haftbefehle bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe vor, die sieben sind im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. Dies trifft jedoch nicht auf Zaid A. zu. Er ist syrischer Staatsbürger. Ihm droht nun aufgrund eines Europäischen Haftbefehls die Auslieferung nach Ungarn. Eine Auslieferung von Zaid A. nach Ungarn ist aus den menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Gründen nicht vertretbar: Zaid A. hat als syrischer Staatsbürger internationalen Schutz erhalten, er ist nach der Genfer Flüchtlingskonvention eine äußerst vulnerable Person. Zaid lebte in Nürnberg, ging dort zur Schule, machte dort seinen Schulabschluss und absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr. Mit dem Umzug zum Studium nach Köln hat er dort nun sein soziales Umfeld. 

Lieber Zaid, liebe Freundinnen und Freunde,

Seit der so genannten Selbstenttarnung des NSU 2011 kämpfen wir mit Betroffenen auf der Keupstraße und in der Probsteigasse in Köln für Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen. Außerdem vernetzen wir uns bundesweit mit anderen Initiativen, die sich mit Betroffenen rassistischer und antisemitischer Gewalt organisieren, wie der Initiative 19. Februar Hanau, dem Tekiez in Halle und dem Freundeskreis im Gedenken an die rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992.

Polizei und Justiz haben aus dem NSU-Komplex nichts gelernt. Im Gegenteil, ein Blick in die Chroniken der unabhängigen Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt offenbart nicht nur die tägliche Dimension rechter Gewalt, sondern ein Besorgnis erregendes Maß an beharrlichem Leugnen, Vertuschen und Verharmlosen politisch rechter, rassistischer und antisemitischer Tatmotive durch Polizei und Justiz sowie eine mangelnde Bereitschaft, die ganz normalen Instrumente der Kriminalistik und Strafverfolgung bei rechten Gewalttätern adäquat anzuwenden.

Beispiel Solingen: Bereits kurz nach dem Brandanschlag auf das Mehrfamilienhaus im Solinger Stadtteil Grünewald, bei dem im März 2024 Kancho und Katya Zhilova und ihre kleinen Töchter Galia und Emily starben und andere Hausbewohner*innen zum Teil lebensgefährliche Verletzungen erlitten, schlossen die Ermittler ein politisches Motiv kategorisch aus. Doch im Prozess vor dem Landgericht Wuppertal tauchen nun immer neue Beweismittel auf, die nahelegen, dass der Angeklagte ein Nazi ist. Dies ist nur dem beharrlichen Drängen der Vertreterin der Nebenklage Seda Başay-Yıldız zu verdanken. Die Rechtsanwältin erzwang die Einführungen der Dateien einer Festplatte, die bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten beschlagnahmt, von der Polizei aber nicht ausgewertet worden waren. Diese 166 Bilder werfen nämlich ein ganz anderes Bild auf das Motiv des Angeklagten. Der hatte nach seiner Festnahme behauptet, aus Rache gegenüber der Vermieterin gehandelt zu haben und die Staatsanwaltschaft folgte dieser Version. Doch warum hätte er ein Haus in Brand setzen sollen, in dem der Vermieter gar nicht wohnt und den Tod seiner Nachbarn in Kauf nehmen sollen, wenn nicht aus Menschenfeindlichkeit? Und warum schlossen die Ermittler ein rassistisches Tatmotiv aus, obwohl sie bei der ersten Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten Hitlers „Mein Kampf“ und zahlreiche andere Nazidevotionalien sicherstellten?

Die Antwort gab der Wuppertaler Polizeipräsident zwei Wochen nach der Tat bei einer Pressekonferenz selbst, als er die Festnahme des mutmaßlichen Täters als „gute Nachricht“ verkaufte, weil sie die Erinnerungen an den Brandanschlag von 1993 in Solingen wachgerufen hatte. Damals ermordeten junge Nazis fünf Frauen und Mädchen der Familie Genc. Das war der Höhepunkt einer bis dahin beispiellosen Welle rassistischer Gewalt gegen Geflüchtete. Kurz vor dem Mordanschlag wurde das Asylrecht stark eingeschränkt. Die Städte Solingen, Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen stehen für Hetzjagden und Brandanschläge auf Geflüchtete in den so genannten Baseballschlägerjahren und werden dieses Stigma bis heute nicht mehr los.

Warum erinnern wir hier nochmal daran? Das Problem heißt Rassismus und Zaid würde hier nicht in Auslieferungshaft sitzen, wenn er deutscher Staatsbürger wäre. Und viele andere Gefangene wären hier erst gar nicht eingesperrt worden, wenn sie nicht aufgrund von Racial Profiling in eine Polizeikontrolle geraten wären und anschließend auf Richter trafen, deren Väter und Großväter schon Richter waren und die auf Menschen wie sie mit Verachtung herabblicken.

Während Wegsehen und die Unterdrückung von Beweismitteln in Verfahren gegen die rechte Szene die Regel sind, legen die Ermittler bei Verfahren gegen linke Aktivistinnen einen enormen Eifer an den Tag. Mit Hausdurchsuchungen, Observationen, Großem Lauschangriff, Zielfahndung, Öffentlichkeitsfahndung und Ermittlungen nach Paragraf 129 verfolgen Polizei und Staatsanwaltschaften heute Antifaschistinnen und Klimaaktivistinnen.

Zaid erinnert uns aber auch an einen anderen Antifaschisten, an Kemal Altun, der 1983 starb, weil die Bundesregierung ihn an die Putschisten in der Türkei ausliefern wollte. Weil Kemal Altun auf Versammlungen auftrat und Flugblätter verteilte, geriet er bereits als Schüler in Konflikt mit den faschistischen Grauen Wölfen und wurde von ihnen mehrfach körperlich angegriffen. Nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 floh er nach West-Berlin. Monate später erfuhr er aus türkischen Zeitungen, dass er im Zusammenhang mit einem Attentat auf den MHP Politiker Gün Zazak gesucht wurde und beantragte Asyl. Daraufhin informierte das BKA Interpol und die türkischen Behörden und die reagierten prompt und stellten einen Haftbefehl aus.

Im Juli 1982 wurde Kemal Altun festgenommen, im Februar 1983 bewilligte die Bundesregierung die Auslieferung an die Türkei. Dort drohte ihm laut Amnesty International der „Tod durch unmenschliche Haftbedingungen, Folter oder Hinrichtung“. Die Abschiebung wurde schließlich durch die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg ausgesetzt. Doch nach 13 Monaten Auslieferungshaft wurde er im März 1983 aus seiner Zelle geholt und zum Flughafen gebracht, die Abschiebung allerdings in letzter Minute gestoppt. Der Nervenkrieg um seine Auslieferung löste europaweite Solidaritätsaktionen aus. Im August 1983 fand im sechsten Stock des Obertverwaltungsgerichts Berlin seine Anhörung statt. Am zweiten Verhandlungstag lief Altun plötzlich auf ein offenes Fenster zu und stürzte sich 25 Meter hinab in den Tod.

Seine Verzweiflungstat wirkte als Fanal. In Berlin setzten Abschiebehäftlinge ihre Zellen in Brand und es kam zur Gründung von Pro Asyl und vo Asyl in der Kirche. In der Politik hatte der Suizid Kemal Altuns dagegen weder zum Umdenken noch zu einer Humanisierung der Asylpolitik geführt, konstatierte der damalige Pro Asyl Geschäftsführer Heiko Kaufmann später.

Die Stimmung gegenüber Migranteninnen und Geflüchteten wurde Anfang der 1980er Jahre immer bedrohlicher, rassistische Übergriffe nahmen zu und wurden durch Hassreden von Politikern noch verstärkt. In der Zeit entstanden zahlreiche rassistische Vereinigungen wie die „Deutsche Volksunion“ und die Hamburger „Initiative Ausländerstopp“. Während sich 1978 39 Prozent der Deutschen für die Rückkehr der ›Gastarbeiterinnen‹ in ihre Herkunftsländer aussprachen, stieg die Zustimmung dafür in den folgenden Jahren erheblich und erreichte 1983 80 Prozent. Zu Beginn der Anwerbung wurden die Menschen aus der Türkei von deutschen Politikerinnen ganz selbstverständlich als Europäerinnen bezeichnet. Anfang der 1980er Jahre wurden sie als nicht „assimilierungsfähige Ausländer*innen“ stigmatisiert. Kurz nach der Wahl von Helmut Kohl zum Bundeskanzler verabschiedete der Deutsche Bundestag 1983 das so genannte Rückkehrförderungsgesetz. Dieses Deportationsprogramm scheiterte jedoch an der Resilienz der ersten „Gastarbeiter“generation mit der sie die Bundesrepublik in ein Einwanderungsland und eine vielfältige Gesellschaft verwandelten.

Was sagt uns diese Geschichte heute? Die Situation für Zaid ist Brand gefährlich, die Behörden wollen an ihm ein Exempel statuieren, genauso wie der Berliner Senat, der die Abschiebung ausländischer Studierender durchsetzen will, die gegen den verbrecherischen Krieg der israelischen Armee in Gaza und im Westjordanland protestiert haben.

Machen wir Ihnen einen Strich durch die Rechnung. Wir haben viele potenzielle Verbündete in der postmigrantischen Gesellschaft, die wir gewinnen können.

Gegen Abschiebungen, für eine Gesellschaft ohne Knäste, gegen Lager und geschlossene Grenzen. Verhindern wir die Auslieferung von Zaid!

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!



Verfasst am Freitag, 11. April 2025